Das Verivox-Urteil treibt die Branche um – und verunsichert Versicherungsvermittler. Gerade bei Gewerbeversicherungen war das Thema Haftung schon immer eine Herausforderung. Höchste Zeit sich mit der Frage zu beschäftigen, wie sich drohende Schadenforderungen abwenden lassen.

September 2021, Oberlandesgericht Karlsruhe: Das Vermittlungsportal Verivox darf seinen Vergleich von Privathaftpflichtversicherungen nicht mehr anbieten, ohne ausdrücklich auf dessen eingeschränkte Marktauswahl hinzuweisen. Das entschieden die Richterinnen und Richter nach einer Klage des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv).

Verivox listet 49 von 90 Anbieter der entsprechenden Tarife – nach Auffassung des Gerichts liegt deshalb ein eingeschränkter Marktüberblick vor, über den unabhängige Vermittler die Versicherungsnehmer informieren müssen.

 

Das Verivox-Urteil und seine Auswirkungen

Aufgrund seiner Grundsätzlichkeit könnte das Verivox-Urteil weitreichende Folgen haben – und versetzt die Branche deshalb in Aufruhe.

Das ist nicht ganz unberechtigt, wirft das Urteil doch zahlreiche Fragen auf: Wie sollten Vermittler auf diese Warnung reagieren? Ändert sich dadurch die Haftung von Vermittlern? Wie können Vermittler haftungssicher beraten? Und begeben sich Vermittler durch die Nutzung von Vergleichssoftware aufs juristische Glatteis?

Alle diese Fragen sind (abschließend) noch nicht beantwortet.

Doch beginnen wir von vorne: Schon heute müssen Vermittler Ihren Versicherungsnehmern nach §60 Versicherungsvertragsgesetztes (VVG) eine umfangreiche Marktübersicht bieten – ganz gleich, ob diese analog oder digital beraten.

 

Folgen für die Beratung von unabhängigen Vermittlern

Unabhängige Versicherungsvermittler könnten dem Urteil nach dazu verpflichtet sein, auch Tarife von Versicherern zu beraten, mit denen sie eigentlich nicht kooperieren und keinerlei Vertriebsbeziehung haben – wenn diese nicht einen gewissen Anteil am Gesamtmarkt im Vergleich aufweisen können.

Außerdem müssten sie auch auf Versicherungsprodukte von Nischenanbietern hinweisen, Informationen einholen und ihren Kunden jeden Anbieter aufzeigen. Das geschieht unabhängig davon, wie verlässlich die Quellen sind, aus denen die Informationen stammen.

Experten sehen diese Regelung als realitätsfern an, da es am Arbeitsalltag unabhängiger Versicherungsvermittler komplett vorbeigehe. In bestimmten Fällen sind sie schlicht nicht in der Lage, einen Marktüberblick zu geben. Denn Versicherer, die unabhängige Vermittler als Vertriebsweg ausschließen, stellen teils gar keine Informationen zu Tarifen bereit und sind auch nicht verpflichtet dies zu tun.

Der unabhängige Vermittler kann daher in manchen Fällen nicht auf alle Informationen zugreifen – und schließlich auch keinen umfassenden Marktüberblick bieten, wie das das Gericht in Karlsruhe im Verivox-Urteil vorschreibt.

 

Werden Vermittler in Haftung genommen?

Bieten unabhängige Versicherungsvermittler in der Beratung keinen Marktüberblick an, könnten Kunden den Vermittler Schadensersatz wegen fehlerhafter Beratung geltend machen, nämlich für nicht, unzureichend oder zu teuer eingedeckte Risiken. Zudem drohen Abmahnungen hinsichtlich Wettbewerbsverstößen auf Basis des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb (UWG).

Ob die Auslegung des Verivox-Urteils in der Praxis angewandt wird, bleibt indes abzuwarten. Einzelne Experten gehen davon aus, dass die bisherigen Einzelfall-Urteile in der Sache keine bindende oder rechtsschaffende Wirkung haben.

 

Haftungsfragen im Gewerbegeschäft noch dringender

Fakt ist allerdings, dass das Urteil zumindest in Teilen bei unabhängigen Vermittlern zu Unsicherheit führt. Das betrifft nicht nur den Vertrieb von Privatversicherung, sondern auch und vor allem das Gewerbegeschäft.

Die Befürchtungen aufseiten der Vermittler bei der Haftung von Gewerbeversicherung ist traditionell groß: Zu komplex die Risikoanalyse, zu hoch das Haftungsrisiko bei Unachtsamkeiten. Laut Vermittler-Barometer 2021 gehören für fast die Hälfte der Teilnehmenden Haftungsrisiken im Beratungsprozess zu den größten Hürden im Vertrieb von Gewerbeversicherungen.

Doch unabhängig davon, ob private oder gewerbliche Versicherung: Beim Thema Haftung kommt es auf die Berufsgruppe an. Es lohnt sich deshalb zunächst ein Blick auf die unterschiedlichen Vermittlertypen und ihre Haftung.

 

Haftung: Unterscheidung zwischen Vermittlertypen

Wie sich die aktuelle Rechtsprechung auf die Haftung und Beratung des einzelnen Versicherungsvermittlers auswirken, hängt von seiner Berufsgruppe ab. Der Vermittlerbegriff fasst drei Gruppen zusammen, die über unterschiedliche Rechten und Pflichten verfügen:

  • Versicherungsmakler
  • Versicherungsvertreter
  • Versicherungsberater

 

Grundsätzliche haftungsrelevante Aspekte für Vermittler

Vermittler jeder Couleur haben grundsätzlich Informations- und Dokumentationspflicht gegenüber ihren Kunden. Die Informationspflicht umfasst grundsätzliche Angaben, wie etwa Name und Anschrift. Daneben erhält der Kunde auch über den Vermittlertyp Auskunft: Vertritt der Vermittler eine Versicherung, ist er als Makler tätig oder berät er zu Versicherungen.

Die Dokumentationspflicht umfasst zudem die vollständige Dokumentation der Geschäftstätigkeit gegenüber einem Versicherungsnehmer. Allen Vermittlertypen gemein ist auch: Sie müssen Versicherungsnehmer nach ihren Wünschen und Bedürfnissen beraten.

Haftung eines Versicherungsmaklers

Versicherungsmakler arbeiten unabhängig von Versicherungsgesellschaften und übernehmen für Fehler in der Beratung eigenständig die Haftung. Dabei gibt es eine zeitliche Unterscheidung in zwei Phasen:

  1. Haftung für Beratungsfehlern bei der Vermittlung des Vertrags
  2. Haftung bei Beratungsfehlern nach der Vermittlung des Vertrags

Zudem ist der Versicherungsmakler, anders als der Handels- oder Zivilmakler, dem Versicherungsnehmer gegenüber zum Tätigwerden verpflichtet – meist sogar zum Abschluss des gewünschten Versicherungsvertrags.

  • Bei der Vermittlung des Versicherungsvertrages muss der Makler aus Kundensicht agieren und den objektiven Versicherungsbedarf feststellen. Dazu zählt, den Versicherungsnehmer nach Wünschen und Bedürfnissen zu fragen, die Risikosituation zu klären und eine Bedarfsermittlung vorzunehmen. Auf dieser Basis ist der Vermittler angehalten die passenden Tarife zu ermitteln.
  • Die Haftung nach der Vermittlung des Versicherungsvertrags ist eindeutig geklärt. Neben der Pflicht zur Unterstützung im Schadenfall findet auch eine Beratung des Maklers während der Dauer des Versicherungsvertrags statt. Hinsichtlich des Umfangs und Inhalts dieser Pflichten findet meist eine anlassbezogene Abwägung statt. Im Rahmen der Betreuung muss ein Makler z. B. das versicherte Risiko überwachen. Bedeutet konkret: Fällt dem Makler eine Veränderung der Risikosituation auf oder meldet der Versicherungsnehmer eine ebensolche, ist es am Vermittler, den Kunden auf Anpassungsbedarfe hinzuweisen und auf einen adäquaten Versicherungsschutz hinwirken.
Haftung eines Versicherungsvertreters

Versicherungsvertreter vertreten eine Versicherungsgesellschaft. Sie arbeiten im Auftrag der Versicherung und nicht für den Versicherungsnehmer. Wie beim Makler gibt es auch beim Vertreter zwei Phasen, in denen es zu Haftungsfällen kommen kann: der Vermittlungs- und der Betreuungsphase.

  • In der Vermittlungsphase muss der Vertreter den Versicherungsnehmer nach seinen Wünschen und Bedürfnissen fragen. Da er sein Geschäft am besten kennt, muss der Kunde jedoch das zu versichernde Risiko selbst einschätzen. Der Vertreter darf anschließend nur auf die Produkte und Tarife der Versicherer hinweisen, mit denen er zusammenarbeitet. Er stellt einen subjektiven Versicherungsbedarf fest, da er einseitig nur die Produkte seiner Versicherer vorstellt.
  • In der Betreuungsphase gibt es für den Vertreter grundsätzlich keine weiteren Betreuungs- oder Beratungspflichten. Ist für den Vertreter jedoch ein Beratungsanlass zu erkennen, so ist er auch in dieser Phase zur Beratung verpflichtet. Insbesondere im Hinblick auf die Regresspflicht sind Vertreter deshalb angehalten, den Anlass zu prüfen.
Haftung eines Versicherungsberaters

Ähnlich wie Versicherungsmakler sind auch Versicherungsberater unabhängig von Versicherern. Berater erhalten keine Provision, sondern ein Honorar und haben daher weniger Anreiz unnötige Versicherungsverträge zu verkaufen. Sie stehen den Versicherungsnehmer beratend zur Seite, etwa bei der Erfassung der Versicherungsbedürfnisse, bei der Auswahl der Produkte oder – je nach Vertrag – auch im Schadenfall.

In Haftungsfragen ist der Berater dem Makler praktisch gleichgestellt. Seit 2018 dürfen Berater auch Versicherungen vermitteln, was zuvor nicht möglich war.

 

Der Marktüberblick aus Haftungssicht

Vom Verivox-Urteil sind vorrangig Versicherungsmakler und -berater betroffen. Sie suchen den Markt nach geeigneten Tarifen ab, sie vergleichen diese Tarife und schlagen ihren Kunden, basierend auf den vorliegenden Informationen, die zur Risikosituation passenden Tarife vor.

Jeder Makler und jeder Berater weiß: Diese Aufgabe ist komplex, anspruchsvoll und zeitaufwendig. Um sie im Sinne des Kunden zu bewältigen, nutzen sie deshalb digitale Vergleichsportale oder -software.

Nun bilden diese nicht den ganzen Markt ab. Sie geben jedoch einen guten Überblick. Im Fall von Verivox wurden rund 1.500 Tarifangebote von 49 der 90 Produktanbieter verglichen.

Wäre das ohne Online-Tool und stattdessen mithilfe eines manuellen Prozesses möglich gewesen? Vermutlich schon. Allerdings hätte der Prozess deutlich länger gedauert – was weder im Sinne des Maklers noch im Sinne des Kunden ist, der schnell abgesichert sein möchte. Und wenn man sich den Beratungsalltag vieler Makler oder Berater, die sich um eine Vielzahl von Klienten kümmern, genauer anschaut, dann entwickelt man schnell ein Verständnis dafür, dass ein manueller Prozess auch organisatorisch kaum zu bewältigen wäre.

 

Schritt für Schritt zu mehr Marktübersicht

Das Urteil wirft also nicht nur erhebliche Fragen für den Arbeitsalltag auf, man fragt sich außerdem: Wann ist ein Marktüberblick ein Marktüberblick, von dem Versicherungsnehmer profitieren?

Die Antwort lautet: Man weiß es nicht, denn hier haben die Gerichte (noch) keine verbindlichen Maßstäbe vorgegeben. Berücksichtigen Vermittler bei ihrer Beratung nicht mehr als 50% der am Markt angebotenen Versicherungsprodukte, soll laut OLG Karlsruhe kein ausgewogener Marktüberblick vorliegen.

Ab welcher Prozentzahl ein ausgewogener Überblick besteht, steht noch nicht fest. Der Bundesverband Finanzdienstleistungen e. V. schlägt derzeit etwa 70% vor, was jedoch nicht rechtsverbindlich ist. Versicherungsvermittler sind daher selbst angehalten umfangreich zu recherchieren.

Was sich festhalten lässt: Rund 1.500 Tarifangebote von 49 der 90 Produktanbieter – das ist ein Marktüberblick, den ein Makler ohne maschinelle Unterstützung sicherlich nicht hätte erarbeiten können. Digitale Plattformen, ob privat oder gewerblich, tragen deshalb Schritt für Schritt zu einer besseren Marktübersicht bei. Sie ermöglichen es unabhängigen Vermittlern einfach und effizient Produkte miteinander zu vergleichen.

 

Mehr Sicherheit in der Beratung – aber wie?

Was können unabhängige Vermittler also tun, um für mehr Haftungssicherheit bei ihrer Beratung hinsichtlich des Marktüberblicks zu sorgen?

Der ein oder andere Experte verweist darauf, dass Vermittler in der Beratung darauf hinweisen können, dass sie keinen umfassenden Marktüberblick gegeben können und diesen Hinweis schriftlich in der Beratungsdokumentation festzuhalten.

Der Versicherungsnehmer sollte demnach ausdrücklich vom Vermittler darauf hingewiesen werden, dass eine eingeschränkte Beratungsgrundlage vorliegt. Ein Hinweis nur im Maklervertrag, in gesonderten AGB’s oder der Kundenerstinformation ist allerdings nicht ausreichend.

Vielmehr muss der Kunde vor Vertragsabschluss auf die Markt- und Informationsgrundlage hingewiesen werden und diese Information bestätigen. Der Bundesverband Finanzdienstleistungen AfW empfiehlt folgende Berücksichtigung:

 

"Die Empfehlung beruht auf einer eingeschränkten Beratungsgrundlage. Damit wurde der Marktanalyse keine hinreichende Anzahl von auf dem Markt angebotenen Versicherungsverträgen und Versicherungen zugrunde gelegt. Sie weicht in diesem Fall vom gesetzlichen Regelfall ab. Die Informationen zu den von mir berücksichtigten Versicherungen und Versicherungsverträgen habe ich aus folgenden Quellen (z. B.): "eigene Anbindung zu Versicherern“, "Maklerpool", "Verbund von Maklern" oder "Vergleichsportale")"
Quelle: Bundesverband Finanzdienstleistungen AfW

 

Bei dieser Information müsste schließlich auch der Marktanteil ausgewiesen werden, den der Vermittler berücksichtigt hat. Das kann allerdings zu Problemen führen.

Denn: Viele Vermittler nutzen mehrere Vergleichsportale, um den Markt zu prüfen. Kann der Vermittler keine eindeutigen Angaben machen, kann er folgenden Text in die Markt- und Informationsgrundlage einbringen:

"Es ist mir nicht möglich eine Einschätzung dazu abzugeben, welchen Marktanteil die von mir untersuchten Versicherungen haben. Es gibt zu dieser Versicherung keine Statistiken oder ich haben keinen Zugang zu Statistiken, aus denen ich auch nur schätzungsweise Informationen zum Marktanteil der von mir berücksichtigten Versicherungen ableiten könnte. Es ist somit möglich, dass die von mir berücksichtigten Versicherungen nur einen geringen Marktanteil der in Deutschland angebotenen Versicherungen abdecken."
Quelle: Bundesverband Finanzdienstleistungen AfW

 

Darauf sollte eine Übersicht folgen, in der alle Versicherer genannt sind, die zum Vergleich herangezogen wurden.

Kennt der Vermittler jedoch den Marktanteil, den er berücksichtigt hat, wäre die Empfehlung für die Information:

"Nach meiner Recherchen haben die von mir berücksichtigten Versicherungen einen Marktanteil von x-Prozent. Dieser Informationen habe ich folgende Quellen entnommen: (…)."
Quelle: Bundesverband Finanzdienstleistungen AfW

 

Das Prozedere ist sicher eine gangbare Option. Ein solcher ausdrücklicher Hinweis in der Beratungsdokumentation ist ein erster Schritt und sollte ergänzt werden – und zwar um eine genaue Evaluation der bestehenden Prozesse und Mandate.

Im gesamten Beratungsprozess gibt es allerdings weitere potenziell haftungsrelevante Arbeitsschritte. Hier können digitale Tools helfen und für mehr Sicherheit in der Beratung sorgen. Das gilt insbesondere im Gewerbegeschäft, dessen Potenziale aufgrund von Haftungsfragen immer wieder ungenutzt bleiben.

 

Digitale Tools für mehr Sicherheit in der Beratung

Das Verivox-Urteil treibt die Branche um. Die Meinungen darüber, ob und wie Versicherungsvermittler beim Einsatz von Vergleichssoftware in Haftung genommen werden können, gehen auseinander.

In der Praxis zeigt sich jedoch: Softwarelösungen können unabhängige Vermittler dabei unterstützen, sicherer zu beraten. Ebenso tragen Vergleichsplattformen dazu bei, dass Vermittler einen besseren Überblick über die angebotenen Tarife erhalten – wenngleich sich damit noch kein allgemeingültiger Marktüberblick erzielen lässt.

Es ist jedoch ein Schritt in die richtige Richtung hin zu mehr Transparenz im Vertrieb von Versicherungen. Gleichzeitig nutzen Vermittler mehrere Ventillösungen und Direktanbindungen zu digitalen Tools. Das heißt: Wie umfangreich und individuell er seinen Kunden berät, weiß der Vermittler selbst am besten. Darüber muss er Auskunft geben.

 

Haftungsrisiken und wie Vermittler vorbeugen können

Kurzfristig unterstützt Thinksurance seine Plattform-Nutzer beim Überblick zur Anzahl der Versicherer, die sowohl rechenbar als auch über die Ausschreibung zu erreichen sind. Dabei bezieht sich Thinksurance auf die dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft angebundenen Unternehmen.

Wie unterstützen als digitale Tools bei mehr Sicherheit in der Beratung? In unserer Übersicht haben wir für Sie zusammengefasst, bei welchen Arbeitsschritten es zu Haftungsrisiken im Vertrieb von Gewerbeversicherungen kommen kann und wie digitale Tools hier für mehr Sicherheit sorgen können. Jetzt kostenlos herunterladen!