Die Versicherungsbranche erkennt die Chancen digitaler Prozesse allmählich. Was charakterisiert einen digitalen Prozess in der Versicherung für dich?
Ein digitaler Prozess in der Versicherung muss Ende-zu-Ende vollständig digital sein, ohne Medienbrüche und Eingriffe von außen. Ich gebe anfangs die Risikodaten ein, eine Technologie verarbeitet sie und am Ende erhalte ich einen Tarif, der zu den Daten passt. Zusätzliche manuelle Eingaben oder ein Eingreifen in den Prozess sind überflüssig. Im Versicherungsbereich profitieren vor allem einfache Risiken von digitalen Prozessen. Sie werden vollständig dunkel abgebildet. Ich muss nach der Dateneingabe nichts weiter tun.
Das trifft aber nicht auf alle Prozesse zu, gerade im Hinblick auf komplexere Risiken wie wir sie im Gewerbe- und Industriegeschäft kennen.
Ja, es gibt Ausnahmen. Ein Vermittler kann sich bei der Risikoanalyse einzelne Bestandteile des Prozesses anschauen und nachjustieren. Einmal eingegebene Daten sollten allerdings nicht wieder abgefragt werden, um den Prozess fortzusetzen. Medienbrüche oder die Einbeziehung verschiedener Kanäle haben bei einem digitalen Prozess nichts verloren.
Welche Auswirkungen haben digitale Prozesse auf die Versicherungsbranche?
Durch digitale Prozesse in der Versicherung und der grundsätzlichen Digitalisierung der Branche findet ein Wechsel statt: Der Kunde und seine Bedürfnisse rücken noch stärker und mit hohem Tempo in den Fokus der Versicherer und Vermittler. Kunden möchten als solche wahrgenommen werden und nicht nur als diejenigen, die die Prämie überweisen. In zunehmend mehr Fällen kann der Prozess bei der Entscheidung für ein Produkt eine wichtige Rolle spielen.
Wer drückt wo aufs Tempo?
Die Kunden geben das Tempo vor und reichen es über den Vermittler an die Versicherer weiter. Sie erwarten unkomplizierte und schnelle Prozesse, so wie sie das beim Einkaufen von Amazon kennen. Der Druck in Zeiten größerer Regulatorik und steigender Kosten geht auch vom Makler aus, da er es sich schlicht nicht leisten, die manuellen Prozesse von früher fortzuführen. Was im privaten Bereich funktioniert, wird auch im gewerblichen Umfeld verlangt. Gerade im Hinblick auf das Gewerbe- und Industriegeschäft rückt eine Firmengeneration nach, die nach digitalen Prozessen verlangt und keine Briefe einscannen oder PDFs ausdrucken möchte. AXA ist hier schon heute ein digitaler Vorreiter und im eigenen Interesse auf die digitale Ausrichtung fokussiert.
Vom Kunden über den Vermittler an die Versicherer – in diese Beziehung schalten sich digitale Plattformen ein und verbinden die verschiedenen Akteure miteinander, sodass alle davon profitieren.
Ja, digitale Plattformen verbinden den Kundennutzen mit den optimalen Risikodaten für Vermittler und Versicherer in einem Prozess. Für den Vertrieb und die Produktgeber stellen sie eine technische Lösung bereit. Das räumt der Kundenberatung und dem Verständnis der Kunden mehr Zeit ein. Für Vermittler heißt das: Ich kann eine kundenorientierte Risikoerfassung erstellen, die sich wirklich am Bedarf des Kunden ausrichtet. Für Versicherer wiederum heißt es: Ich kann nachvollziehen, wie meine Produkte am Markt performen und welche Risiken seitens der Kunden nachgefragt werden.
Nun lässt sich die Versicherungsbranche an manchen Stellen ein bisschen Zeit mit digitalen Prozessen. Wo siehst du aktuell die größten Herausforderungen, um dem Tempo der Kundenseite gerecht zu werden?
Wir reden – bei Privatversicherungen noch stärker als im Gewerbebereich – über Produkte, die über Jahrzehnte hinweg funktionieren müssen. Das bringt viel Komplexität mit sich. Digitale Prozesse müssen diese Komplexität berücksichtigen.
Und das schaffen IT-Systeme nicht?
Die IT-Landschaft entwickelt sich schnell weiter, darf aber gleichzeitig die Vergangenheit nicht aus den Augen verlieren. Heute entwickelte Technologien sind idealerweise in 20 Jahren noch praktikabel – oder können dann zumindest schnellstmöglich angepasst werden. Digitale Prozesse sollten so konzipiert sein, dass einzelne Bestandteile ausgetauscht werden können. Sie dürfen nicht das gesamte IT-System belasten.
Was sind die Erfolgsfaktoren, um digitale Prozesse in der Versicherung grundsätzlich erfolgreich umzusetzen?
Man muss davon überzeugt sein, dass sich etwas ändert und das man darauf reagieren muss. Denn es wird sich vieles grundlegend ändern. Die Dringlichkeit dieses Wandels anzuerkennen ist der wichtigste Erfolgsfaktor. Ein weiterer Aspekt wird Modularität sein. Ich muss mich schnell auf neue Anforderungen einstellen und meine bestehenden Prozesse anpassen können.
Wie profitieren Vermittler von digitalen Prozessen?
Vermittler bekommen mehr Zeit für die Kundenberatung und können ein noch stärkerer Partner der Kunden werden. Zeitfresser wie Verwaltung und Organisation fallen durch Daten weg, die ich einmal eingebe und wiederverwenden kann. Das steigert die Vertriebseffizienz. Mit digitalen Plattformen ist zudem die Basis für eine übergreifende digitale Kommunikation gegeben. Vermittler können aus einer Umgebung mit allen Stakeholdern sprechen. Sie haben alle Informationen an einem Ort. Das wird essenziell für die Zukunft sein, da es mehr Touch Points mit dem Kunden schafft und damit Potenziale für Up- und Cross-Selling.
Aus deiner Sicht: Was sind die Trends, die wir im Zuge der Digitalisierung mittel- bis langfristig in der Versicherungsbranche beobachten werden?
Der Fokus auf Kunden und Prozess wird sich weiter fortsetzen – dabei ist jedoch auch das Produkt weiterhin von großer Bedeutung. Es wird dabei immer wichtiger sein, alle Bereiche in Form von Privat-, Gewerbe- und Industrieversicherung integriert bzw. gemeinsam zu betrachten. Denn nicht jedes „schwer“ erscheinende Risiko ist kompliziert. Gleichzeitig ist nicht jedes sich einfach darstellenden Risiko leicht zu realisieren. Ein weiteres entscheidendes Thema sind Daten. Daten zu generieren ist nicht das Problem. Es wird entscheidend sein, diese Daten auch zu nutzen. Ohne Analyse sind Daten wertlos für mein Geschäft.