Die Digitalisierung verändert die Art und Weise, wie wir die Welt sehen, wie wir zusammenarbeiten, wie wir Herausforderungen analysieren und lösen. Sie erfasst jeden Bereich des Lebens, ob privat oder beruflich.
Solche Aussagen wurden so oder so ähnlich schon hundertfach in Keynotes und Diskussionen formuliert. Und wenngleich es der ein oder andere nicht mehr hören kann – sie büßen nichts an ihrer Relevanz und Aktualität ein.
Denn obgleich die Digitalisierung nichts unberührt lässt, haben viele Branchen ihre Möglichkeiten lange nicht genutzt oder sie überhaupt wahrgenommen.
Dazu gehört auch die Versicherungsbranche. Die Digitalisierung von Versicherungen war viele Jahre ein Thema, das nur unzureichend als Chance begriffen wurde. Das beginnt sich allmählich zu ändern. Heute hat der digitale Wandel längst Versicherer, Assekuradeure, Vermittler, Pools oder Vertriebe erreicht.
Digitalisierung der Versicherung: Was steht bevor?
Doch was bedeutet das eigentlich „Digitalisierung von Versicherungen“? Wie können sich Versicherer und ihre Vertriebe digital aufstellen? Welche Rolle spielt die digitale Transformation im Privat-, Industrie- und Gewerbebereich? Darauf gehen wir in diesem Beitrag ein.
Beginnen wir mit den positiven Nachrichten: Die Versicherungsbranche hat den notwendigen Wandel hin zu mehr Digitalisierung erkannt. Bereits 2012 hat Bain & Company in einer Studie ermittelt, dass 60 % der Bundesbürger künftig das Internet als wichtigsten Kanal für Interaktionen mit ihren Versicherungen betrachten.
Die Branche hat darauf reagiert: Das Thema Digitalisierung ist mittlerweile in der Vorstandsetage ankommen – immerhin. Doch reicht das aus?
Privatkundengeschäft geht voran
Neue Verträge abschließen und bestehende verwalten, Angebote vergleichen, Rechnungen einreichen, Schadensmeldungen digital melden: Im Geschäft mit Privatkunden investiert die Versicherungswirtschaft bereits heute in den Ausbau ihrer digitalen Angebote.
Die Schlagkraft der Branche hat sich – auch angetrieben durch Disruptoren wie Insurtechs, Vergleichsportalen und Apps – merklich erhöht. Sie treten mit nutzerfreundlichen Produkten und Services an.
Was im Umgang mit Privatkunden schon heute funktioniert, entwickelt sich im Bereich der Gewerbe- und Industrieversicherungen langsamer. Auch aufgrund ihrer Komplexität waren Versicherungen für Unternehmen, Gewerbetreibende und Selbstständige lange Zeit von der Digitalisierung weniger berührt.
Kostendruck und Kundenerwartung sind Treiber der Digitalisierung
Der dadurch entfaltete Digitalisierungsdruck lässt sich auf zwei grundsätzliche Ursachen zurückführen:
- Die anhaltend steigenden Kosten belasten die Erträge der Versicherungsbranche und
- die Kunden richten sich mit veränderten Erwartungen an die Versicherungen.
Schauen wir uns zunächst die Kostenseite an.
Digitalisierung senkt Kosten
Neue Wettbewerber, anhaltende Niedrigzinsen und eine veraltete IT-Infrastruktur: Schon vor der Corona-Pandemie war die Versicherungsbranche unter Kostendruck. Die pandemie-bedingte Wirtschaftskrise hat dieses Problem noch verschärft, insbesondere im Bereich der Gewerbe- und Industrieversicherungen.
Denn durch die weltweite Unterbrechung von Produktions- und Lieferketten oder zeitweiligen Betriebsschließungen sind hohe Schäden entstanden. Eine erste Folge dessen: Prämien über alle Versicherungssparten hinweg haben sich laut einer Erhebung von Willis Tower Watson seit Corona-Ausbruch im internationalen Durchschnitt um zehn bis 15 % erhöht.
Für die Versicherungsbranche ist die Digitalisierung deshalb auch ein essenzielles Instrument zur Effizienzsteigerung, Prozessoptimierung und schließlich Kostensenkung. Bei konsequenter Umsetzung kann das entlang der gesamten Wertschöpfungskette gelingen.
Gemeinsam mit Google hat Bain & Company in einer anderen, 2016 veröffentlichten Studie ermittelt, dass digitale Prozesse knapp 25 % der Kosten im Versicherungsgeschäft mit Gewerbe- und Industriekunden einsparen können. Gleichzeitig besteht die Chance, dass die Einnahmen um bis zu 23 % steigen.
Fokus auf Kundenbedürfnisse
Wer jedoch glaubt, dass die Möglichkeit, Kosten zu senken, die einzige Motivation ist, die die Versicherungsbranche beim Thema „Digitalisierung“ antreibt, der tut ihr unrecht.
Für die Digitalisierung der Versicherung sind die sich verändernden Kundenerwartungen der zweite Treiber für mehr digitale Innovationen. Die Versicherungswirtschaft besinnt sich damit endlich auf ihre Stärke: die Kundenberatung.
Dazu muss die Branche jedes neue Produkt, jeden neuen Tarif und jeden Prozessschritt aus der Perspektive der Nutzer denken. So entfaltet die Digitalisierung die disruptive Kraft, die ihr seit jeher zugesprochen wird.
Der Trend, dass die Wünsche und Bedürfnisse der Kunden die Richtung vorgeben, in die sich Produkte oder Leistungen entwickeln, lässt sich längst aus anderen Bereichen wie etwa der Handels- oder Finanzbranche erkennen. Kunden übertragen ihre positiven Erfahrungen, die sie beim E-Commerce oder Online-Banking machen, auf andere Bereiche – und fordern das gleiche Level an Service ein.
Digitalisierung revolutioniert das Kundenerlebnis
Dazu gehören einerseits maßgeschneiderte Produkte, die sich an den Kundenrisiken orientieren. Das Matching von Produkt und Risiko ist keine Einbahnstraße mehr. Versicherungsprodukte orientieren sich an den Risiken – und nicht umgekehrt.
Denn die Risiken haben sich verändert. Das digitale Zeitalter selbst bringt neue Formen von Schäden und Versicherungsfälle mit sich, ebenso der menschengemachte Klimawandel.
Auch eine reibungslose Kommunikation zwischen verschiedenen Akteuren, die zwar automatisiert, aber dennoch persönlich ist, wird heute von Kundenseite eingefordert. Die Interaktion muss ohne Medienbrüche in einer Umgebung funktionieren.
Und wenn es mal nicht so läuft? Dann steigt der Frust bei allen Beteiligten. Ein Beispiel: Eine mangelnde Datenqualität durch nicht synchronisierte Kommunikationskanäle und fehlende Schnittstellen machen wiederholte Angaben der Kunden nötig – das sorgt nicht nur für Prozessabbrüche, sondern auch für längere Bearbeitungszeiten.
Digitalisierung umfasst gesamte Wertschöpfung
Gelingt es der Versicherungsbranche, die Digitalisierung als das zu sehen, was sie ist, steht ihr Großes bevor. Sie rückt die Kunden wieder in das Zentrum ihrer Bemühungen. Von Innovationen über Geschäftsmodelle bis hin und zu strategischen Partnerschaften – all das und noch viel mehr kann die Versicherungswirtschaft den kommenden Jahren aktiv gestalten.
Dieses Mindset erlaubt es ihr, die Art und Weise zu verändern, wie derzeit über Versicherungen nachgedacht wird. Denn nur, wenn Versicherungen die Digitalisierung als etwas begreifen, dass den gesamten Wertschöpfungsprozess umfasst, werden sie auch in Zukunft erfolgreich sein.
Data Analytics sind Grundlage bei der Digitalisierung der Versicherung
Ein wesentlicher Treiber dieser erfolgreichen Transformation sind Daten. Die entscheidende Frage für die Versicherungsbranche wird sein: Wie kann ich meine generierten Daten nützlich verwenden? Denn reine Datensätze sind nüchtern betrachtet „wertlos“, wenn man daraus keinen Nutzen ziehen kann.
Für die Branche waren Daten schon immer ein essenzieller Bestandteil des Geschäfts. Keine Risikoanalyse, keine Bestandserfassung und kein Tarif kommen ohne die notwendigen Informationen aus.
Und hier kommen Data Analytics ins Spiel. An ihnen ist es, die Daten nutzbar zu machen, um fundierte Entscheidungen zu treffen und ein besseres Verständnis dafür zu entwickeln, welche Produkte und Leistungen die Kunden wollen.
Richtig genutzt geben Daten Orientierung und Impulse für neue Ansätze in Produkt und Vertrieb. Gleichzeitig erlauben sie Markt- und Performancevergleiche und helfen den Akteuren, sich selbst und ihre Marktposition besser einzuschätzen. So sind Daten in der Lage einen gesamtheitlichen Mehrwert zu schaffen und den Markt zu verbessern – für Versicherer, Makler und Kunden.
Digitalisierung von Versicherungen: Was steht an?
Was bleibt zu konstatieren? Kostendruck, Kundenbedürfnisse, Prozessoptimierung, Data Analytics – alle diese Begriffe wirkten und wirken bei der Digitalisierung der Versicherung. Sie bilden den Rahmen, in dem sich digitale Innovationen entwickeln.
Basierend darauf wird es für die Branche darauf ankommen, potente Ökosysteme zu schaffen. Ideal bieten sich dazu etwa kanalübergreifende Plattformen an, die sowohl Vertriebs- und Beratungsprozesse vereinen, den Zugriff und die Interpretation von Daten ermöglichen, das Controlling und die Produktentwicklung berücksichtigen und durch Schnittstellen ein hohes Maß an Integrations- und Anbindungsfähigkeit an bestehende Programme bieten.
Um solche Ökosysteme erfolgreich zu etablieren, muss sich die Versicherungswirtschaft bei der Digitalisierung an vier Punkten orientieren:
- Innovationen müssen über Abteilungen und Bereiche hinweg im Unternehmen etabliert werden. Digitalisierung darf nicht in Silos gedacht werden.
- Der digitale Wandel ist nicht nur ein technologischer Wandel. Er beginnt bei der Unternehmenskultur und dem entsprechenden Mindset.
- Das Kundenbedürfnis steht im Mittelpunkt. Die Digitalisierung sollte in erster Linie einen Mehrwert für Kunden bieten – nicht für die Steigerung der Effizienz oder den Online-Vertrieb.
- Eine kurze Time-to-Market ist entscheidend für den Erfolg von Produkten, um die Aktualität von Innovationen zu sichern und sich fortlaufend Feedback einzuholen.
Dass die Branche die Zeichen der Zeit erkennt, zeigt das Wachstum bei den Investitionen in den IT-Bereich. 2018 stiegen die IT-Ausgaben laut Branchenverband GDV auf das Rekordhoch von 4,7 Milliarden Euro. Ein Plus von 4,5 % im Vergleich zum Vorjahr.
Besonders im Fokus: die Restrukturierung und Modernisierung der veralteten IT-Infrastruktur. Sie bildet die technologische Basis, um den digitalen Wandel erfolgreich zu meistern und die Geschäftsmodelle für die Zukunft aufzustellen.